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Ein Güterzug voller Energie

23.03.2023
Ein Leitartikel von Prof. Dr. Franz Bischof zum Thema „ENERGIE UND NACHHALTIGKEIT“.

Energie einsparen, zurückgewinnen und neue Formen der Produktion

„Energie“! Ein Wort, das im Moment wie kaum ein anderes elektrisiert und zur Diskussion einlädt. Jede und jeder in diesem Land weiß mittlerweile um die Bedeutung von Energie – und deren Verfügbarkeit und Kosten. Und es sind Energieträger, Wärme und Strom, also die mit Verlusten behafteten Umwandlungsprodukte unserer technischen Prozesse, die unser Leben und das der Industrie in diesem Land „am Laufen und Leben“ halten und gleichzeitig erleichtern.

1.000.000 Milliarden Joule Primärenergieverbrauch

Aber haben Sie sich eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie viel Energie in Deutschland jedes Jahr benötigt wird? Gemäß den aktuellen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen vom September 2022 hat Deutschland einen Primärenergieverbrauch von 12.413 Petajoule. Das hört sich nicht nach wenig an – und das ist es auch nicht. Peta stellt die Zahl 10 hoch 15 dar, oder einfacher ausgedrückt: 1.000.000 Milliarden. Solche riesigen Zahlen entziehen sich völlig unserer Vorstellungskraft und es bedarf mentaler Bilder, um deren Bedeutung zu begreifen.

Ein 78.191 Kilometer langer Güterzug

Stellen wir uns also vor, man müsste diese Primärenergie in Form von Steinkohle mit einem Güterzug nach Deutschland transportieren. Dafür üblicherweise eingesetzte Güterwaggons weisen eine Nutzlast von 65 Tonnen bei einer Abmessung von 12 Metern Länge auf. Es würde ein langer Güterzug werden: Bestehend aus gut 6,5 Millionen Waggons bzw. einer Gesamtlänge von 78.191 Kilometern! Diesen zweimal um den Erdäquator reichenden „Sonderzug nach Deutschland“ entleeren wir jedes Jahr aufs Neue. Haushalte, Verkehr und Industrie teilen sich dabei den Endverbrauch in etwa gleichmäßig auf – nämlich jeweils zu circa 20 %. Und fast genauso viel an Primärenergie, nämlich knapp 18 %, gehen durch Umwandlung der Primär- in Endenergie verloren.

Energie einsparen, zurückgewinnen und neue Formen der Produktion

Energie einzusparen, wo immer möglich, sie zurückzugewinnen und neue Formen der Energieproduktion zu finden ist daher das oberste Gebot der Stunde, solange es nicht im großen Umfang gelingt, den Primärenergieverbrauch aus vorwiegend fossilen Energieträgern durch regenerative Energiequellen zu substituieren.

Abwasser enthält chemische und thermische Energie

Abwasser scheint hierfür ein sehr interessantes Medium zu sein und könnte einen wichtigen Beitrag liefern. Abwasser enthält zum einen chemisch gebundene Energie, die Mikroorganismen in anaeroben Prozessen kontrolliert in Form des Energieträgers Methan freisetzen können. Zum anderen sollte die im Abwasser gespeicherte thermische Energie von großem Interesse sein. Pro Grad Celsius besitzt 1 Kubikmeter Abwasser die Energiemenge von 1,16 kWh. Damit könnte Abwasser theoretisch 1 Kubikmeter Erdgas ersetzen, wenn 1000 Liter davon um ca. 9 Grad Celsius durch Wärmeentzug abgekühlt werden. Heizen mit Abwasser anstatt mit Erdgas!

Hohes Energiepotential durch angepasste Wärmetauschsysteme nutzen

Derartige Anwendungen im Bereich kommunaler Abwasserkanäle sind jedoch unrealistisch, da dies den Reinigungsprozess auf der Kläranlage zu stark beeinträchtigen würde. Die Abkühlung um 1 bis 2 Grad stellt sich jedoch in aller Regel als problemlos dar und weist bereits in diesem relativ geringen Umfang ein hohes Energie- bzw. Wärmepotential auf. Nicht selten aber fällt Abwasser oder Prozesswasser auch mit relativ hohen Temperaturen in Kommunen oder auch bei Produktionsprozessen in der Industrie an. Auf diese Energie dann zu verzichten, sollte man sich in Zukunft nicht mehr leisten. Leistungsfähige Wärmetauschsysteme, die an die Besonderheiten des Abwassers angepasst sind, stellen für dieses Ziel allerdings die technische Voraussetzung dar, um nachhaltige Wärmenutzungskonzepte für den jeweiligen Fall erstellen zu können.

Die Zukunft Energie rückgewinnender und -effizienter Prozesse und Produkte

Dabei hat in der Gesamtbetrachtung der Abwassertechnik die Zukunft Energie rückgewinnender und energieeffizienter Prozesse und Produkte nicht erst gestern begonnen. Die Nutzung von Abwärme aus Abwasser etabliert sich immer stärker; Elektroantriebe mit verbessertem Wirkungsgrad werden immer häufiger eingesetzt. Neue Verfahren der Abwasserreinigung zielen auf die Ausschleusung von organischen Inhaltsstoffen des Abwassers im Zulauf von Kläranlagen ab, um vermehrt Methan in Faultürmen zu produzieren und gleichzeitig die Energie für die aeroben Reinigungsprozesse in der Kläranlage zu reduzieren.

Neue und innovative Überwachungsprozesse zur Erkennung von übermäßigem Verschleiß an Maschinen werden im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung entwickelt, um unnötigen Energieverbrauch frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus eröffnet die Digitalisierung in Verbindung mit intelligenter Auswertung der Daten völlig neue Möglichkeiten zur Optimierung von Prozessen: beispielsweise weniger Schlammanfall und geringerer Fällungsmittelverbrauch. Diese Vorteile mögen vielleicht zwar auf den ersten Blick nicht als Maßnahmen zur Energieeinsparung erkannt werden.

Intelligente Konstruktion, Leichtbaustoffe, Qualität und Langlebigkeit

Auf den zweiten Blick zeigen sich diese jedoch durch die Reduktion von Chemikalien und Transport. Oder in anderen Worten: die Einsparung von Energie durch „Nichtproduktion“ und „nicht gefahrene Kilometer“. Intelligente Konstruktion von Maschinen oder die Wahl von Leichtbaustoffen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion sind ebenfalls in direktem Zusammenhang mit der Einsparung von Energie für Herstellung und Transport zu sehen. Die hohe Qualität von Produkten und demzufolge deren Langlebigkeit stellt wiederum die Grundlage für einen sparsamen Einsatz von für deren Herstellung erforderlichen Rohstoffen dar. Produktqualität sollte daher stets auch im positiven Zusammenhang mit Energieeinsparung betrachtet werden.

Die technische Symbiose aus Energie und Nachhaltigkeit

Viele dieser genannten Beispiele zeigen, dass der verantwortungsvolle Umgang mit Energie untrennbar mit nachhaltiger Abwassertechnologie verbunden ist. Energie und Nachhaltigkeit haben sich zu einer bemerkenswerten technischen Symbiose zusammengefunden. Unter diesem Aspekt wird auch die Abwassertechnik in all ihren Anwendungsfeldern einen wichtigen Beitrag liefern können, unseren „Güterzug voller Energie“ in der Zukunft zu verkürzen. Man muss es nur tun, gemäß dem Spruch: „Machen ist wie Wollen, nur krasser!“

 

Prof. Dr.-Ing. Franz Bischof ist Professor an der Fakultät Maschinenbau / Umwelttechnik für das Fach „Verfahren der Wasser-, Luft- und Bodenreinhaltung“ an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden